Reden im Bundestag

170. Sitzung WP 18: TOP 15+ZP6 Kohleausstieg und Braunkohlesanierung

Meine Rede zum Thema Kohleausstieg und den Anträgen der Fraktion DIE LINKE „Kohleausstieg einleiten – Strukturwandel sozial absichern“ und „Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr 2017“ sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Braunkohlesanierung durch die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH fortsetzen“:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist für jemanden wie mich eine doch etwas schwer erträgliche Diskussion .

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur für Sie! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für uns auch!)

Seit 26 Jahren und 25 Tagen stecke ich mittendrin im Strukturwandel – im Strukturwandel der Bergbau- und Energiewirtschaft, der Glasindustrie, der Textilindustrie und der chemischen Industrie in Ostdeutschland . Wenn Sie einen Strukturwandel im Bergbau anmahnen, dann vergessen Sie, dass wir seit 26 Jahren Strukturwandel haben . 26 Jahre Strukturwandel!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen jeden einzelnen Tagebau nennen, der stillgelegt worden ist . Ich kann Ihnen jedes Kraftwerk nennen, das stillgelegt oder durch ein neues Kraftwerk ersetzt worden ist .

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kann ich im Ruhrgebiet auch nennen, die Zechen! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg . Thomas Jurk [SPD]: Zuhören!)

Ich kann Ihnen 49 Brikettfabriken nennen . Ich kann Ihnen aber auch Zehntausende Menschen nennen, die ihre Arbeit verloren haben, die ihre berufliche Perspektive verloren haben und in der Region keine Zukunftsperspektive mehr finden konnten. 300 000 Bürgerinnen und Bürger haben wegen dieses Strukturwandels, der tiefe Strukturbrüche hinterlassen hat, die Lausitz verlassen müssen . Die Städte sind kleiner geworden, haben große Infrastrukturen, müssen zurückgebaut werden und können heute kaum geradeaus gucken und einigermaßen ordentlich überleben .

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist in der Prignitz oder in der Uckermark auch so! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie, das lässt sich aufhalten?)

Wir Sozialdemokraten stehen zu unserem Koalitionsvertrag . In diesem Koalitionsvertrag haben wir uns zu Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Umweltverträglichkeit bekannt . Dementsprechend haben wir auch die Energiepfade geordnet und die Energieversorgung auf vernünftige Beine gestellt .

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sehe ich aber nichts!)

Wir bekennen uns auch klar und deutlich zum Ausbau regenerativer Energien . Die Ziele sind klar: 2025 haben wir 40 bis 45 Prozent, 2035 50 bis 60 Prozent, 2050 80 Prozent regenerative Energien . Das heißt, dass wir nach und nach Kohle, Gas und Öl aus der Verstromung nehmen werden .

(Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann fängt denn Ihr „nach und nach“ an?)

Deswegen ist die Diskussion um einen Kohleausstieg, die Sie heute hier führen wollen, eine Phantomdiskussion; denn wir betreiben den Strukturwandel seit 26 Jahren .

(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht! Sie wollen noch 100 Jahre Kohle haben!)

Ich will einmal die Dimension aufzeigen, die hinter Ihrem Antrag steckt – wenn Sie, Frau Präsidentin, mir ein bisschen Zeit lassen . 

Vizepräsidentin Claudia Roth: 30 Sekunden .

Sie fordern, dass alle Kohlekraftwerke bis 2035 stillgelegt werden sollen .

(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Das heißt, 67 Standorte – 35 davon Standorte mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen – mit insgesamt 51 000 MW elektrischer Leistung und 14 000 MW thermischer Leistung wollen Sie stilllegen, und Sie wissen gar nicht, wie Sie dann Versorgungssicherheit, Preisstabilität usw . garantieren könnten .

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Sie würden in erheblichem Maße dazu beitragen, dass unsere Abhängigkeit von Rohstoffimporten zunimmt. Wir sind jetzt schon in hohem Maße von Importen abhängig – Steinkohle importieren wir zu 87 Prozent, Gas zu 90 Prozent, wir importieren Öl und Kernbrennstoffe .

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir ja nicht mehr! Wir wollen Erneuerbare! Haben Sie das immer noch nicht begriffen?)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Freese, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Herr Krischer, Sie haben ein Problem:

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie! Sie haben ein Kohleproblem!)

Sie sind ideologisch verklemmt und wollen nicht mit Menschen zusammenarbeiten,

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die rational und vernünftig den Industriestandort in eine neue Zukunft hineinführen wollen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Freese, damit lassen Sie also keine Zwischenfrage zu?

Nein, die Redezeit ist doch abgelaufen .

Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich hätte aber eine Zwischenfrage zugelassen, wenn Sie es gewollt hätten . Sie wollten aber nicht . Gut . Also keine Zwischenfrage . Damit schließe ich jetzt diese Aussprache .

(Quelle: Plenarprotokoll Deutscher Bundestag 18/170 Stenografischer Bericht – Video: Deutscher Bundestag, PlenumTV)